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Gewitter im Gehirn - Tierarzt Dr. Uwe Wagner über Epilepsie

Wo liegen die Ursachen für epileptische Anfälle – und ist jeder Krampfanfall gleich Anzeichen für eine Epilepsie? Dr. Uwe Wagner, Vorstandsmitglied und Tierarzt in eigener Praxis in Reutlingen, erklärt im folgenden Interview, was die Erkrankung Epilepsie bedeutet, wie sie diagnostiziert und therapiert wird.

RdT: Behandeln Sie in Ihrer Praxis Epilepsie-Patienten?
Dr. Uwe Wagner: Ja, derzeit ca. 30 Hunde und Katzen, wobei die Hunde mit 2/3 zahlenmäßig überwiegen.
RdT: Können alle Säugetiere an Epilepsie erkranken?
Dr. Uwe Wagner: Tatsächlich kommen bei fast allen Wirbeltieren epileptische Anfälle vor – und selbst bei Wirbellosen wie den Fruchtfliegen sind ähnliche Zustände bekannt.
RdT: Bitte erklären Sie uns, was Epilepsie ist und wie es zu den Krampfanfällen kommt, die so erschreckend anzusehen sind.
Dr. Uwe Wagner: Es gibt nicht die Epilepsie, man müsste von Epilepsien sprechen. Es gibt die sekundäre Epilepsie, die durch andere Erkrankungen hervorgerufen wird und nach entsprechender Therapie in der Regel auch wieder verschwindet, und die primäre. Bei der primären oder idiopathischen Epilepsie werden keine anderen Ursachen gefunden, das heißt, keine anderen Grunderkrankungen lösen die gelegentlichen oder häufig wiederkehrenden Krampfanfälle aus.
Grundsätzlich kann man sagen: Epilepsie ist eine chronische Erkrankung des Gehirns, bei der die Nervenzellen (im Gehirn) übermäßig stark erregt und zu schnell gereizt sind. Das Gleichgewicht zwischen Erregung und Hemmung fehlt, es kommt zu epileptischen Anfällen mit sehr vielfältigem Erscheinungsbild. Die Krampfanfälle als Ausdruck der Funktionsstörung des Gehirns werden durch plötzliche Entladungen in Nervenzellverbänden ausgelöst.
Übrigens: Epilepsie gehört (wie bei Menschen) zu den häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems bei Hunden.
RdT: Welche Erkrankungen können eine sekundäre Epilepsie bzw. die Krampfanfälle auslösen?
Dr. Uwe Wagner: Eine ganze Reihe von Erkrankungen. Zum Beispiel Entzündungen, Durchblutungsstörungen oder Tumore im Gehirn, Erkrankungen der inneren Organe oder des Herz-Kreislauf-Systems, Infektionskrankheiten, Störungen des Salz- und Wasserhaushalts, Lebererkrankungen bzw. eine angeborene Missbildung der Lebergefäße. Diese als Shunt bezeichnete Erkrankung führt dazu, dass der Körper Gifte nicht ausreichend filtert. Sie übertreten dann die Blut-Hirnschranke, reichern sich dort an und verursachen die Krämpfe. Auch das Krankheitsbild eines Wasserkopf (Hydrocephalus), häufiger bei Hunden anzutreffen, kann epileptische Anfälle auslösen.
RdT: Primäre und sekundäre Epilepsie äußern sich durch wiederkehrende Anfälle. Daneben kann es wie Menschen auch bei vielen Tierarten zu Gelegenheitsanfällen kommen. Was versteht man darunter?
Dr. Uwe Wagner: Gelegenheitsanfälle können als Folge einer akuten Belastung, wie zum Beispiel einer Vergiftung oder starken Unverträglichkeitsreaktion, auftreten. Vergiftungsursachen können u.a. eine schlechte Trinkwasserqualität sein, ungenießbare oder giftige Pflanzen und Schimmelpilze auf dem Futter. Auch eine Hypo- oder Hyperglykämie (Unter-/ Überzuckerung) kann einen gelegentlichen Anfall provozieren.
RdT: Tritt Epilepsie bei Hunden rasseabhängig auf?
Dr. Uwe Wagner: Ja, bei folgenden Rassen (und deren Mischlingen) wird eine genetische Disposition vermutet oder ist bereits nachgewiesen worden: Golden Retriever, Labrador, Collie, Boxer, Viszla, Schäferhund, Beagle, Pudel und Cocker.
RdT: Manche Krampfanfälle sind so untypisch, dass die Erkrankung erst sehr spät diagnostiziert wird. Warum sind epileptische Anfälle so vielfältig in ihrem Erscheinungsbild?
Dr. Uwe Wagner: Wenn es im Gehirn zu plötzlichen Entladungen von Nervenzellen kommt, äußert sich dieses „Gewitter im Gehirn“ durch einen epileptischen Anfall. Diese elektrischen Ladungen treten entweder in begrenzten Nervenzellverbänden auf oder gleichzeitig in beiden Großhirnhälften. Wenn nur ein kleines Hirnareal (partielle Anfälle) betroffen ist, wird ein Anfall leichter verlaufen, als wenn große Teile des Gehirns in Mitleidenschaft gezogen sind. Bei letzerem spricht man von generalisierten Anfällen: Sie führen zu Störungen des Bewusstseins, der Motorik und sinnlichen Wahrnehmung sowie der vegetativen Funktion.
RdT: Kündigt sich ein epileptischer Anfall an?
Dr. Uwe Wagner: Nein, nicht immer. Bei einigen Tieren setzt der Anfall schlagartig ein, ohne dass sie vorher ein auffälliges Verhalten gezeigt hätten. Andere dagegen sind ängstlich, unruhig, besonders anhänglich, suchen Schutz, verkriechen sich, jaulen oder bellen. Diese Wesensveränderungen sind meist nur für die Tierhalter erkennbar. Wenn sich ein Anfall über diese so genannte Aura ankündigt, können die Besitzer den Anfall in seiner Schwere etwas mildern, in dem sie beruhigend auf das Tier einwirken.
RdT: Bitte schildern Sie einen generalisierten Anfall im Vergleich zu einem partiellen Anfall, der oft so untypische, schwer zu deutende Symptome zeigt.
Dr. Uwe Wagner: Bei einem typischen Anfall können die Tiere aus dem Stand stürzen, sind nicht mehr ansprechbar, verlieren unter Umständen auch das Bewusstsein. Die Muskeln zucken oder sind ganz starr, die vierbeinigen Patienten haben Streckkrämpfe, rudern mit den Beinen, verdrehen die Augen, kauen, speicheln, verlieren Kot und Urin, zeitweise kann die Atmung aussetzen.
Anders dagegen der untypische Krampf: Er macht sich u.a. durch Zucken von Muskelgruppen (oft im Gesicht) oder der Gliedmaße bemerkbar. Hunde bellen fiktive Personen oder Gegenstände an, schnappen nach nicht existenten Fliegen, starren in die Luft, laufen im Kreis, der Blick wird glasig, bei Katzen ein ähnliches Bild.
Manchen Tieren merkt man nach den Anfällen nichts mehr an, andere sind dagegen noch Stunden später verwirrt, teilnahmslos, verängstigt, müde und haben einen abnormen Hunger.
RdT: Während diese Anfälle in der Regel ca. zwei Minuten dauern, zieht sich der gefürchtete status epilepticus bis zu 20 Minuten hin.
Dr. Uwe Wagner: Beim status epilepticus folgt ein Krampfanfall unmittelbar auf den nächsten. Das Tier erlangt sein Bewusstsein nicht zurück, es besteht Lebensgefahr. Der status epilepticus ist eine Notfallsituation und bedarf sofortiger tiermedizinischer Intensivbehandlung. Bei Schäferhunden, Settern, Pudeln und Cockern beobachtet man diese gefährlichen Serienanfälle häufiger als bei anderen Hunderassen.
RDT: Mit welchen Untersuchungen wird die Diagnose Epilepsie gesichert?
Dr. Uwe Wagner: Epilepsie ist eine Ausschlussdiagnose. Wir müssen alle anderen Erkrankungen ausschließen können, bevor wir von einer primären Epilepsie sprechen können. Dazu sind neurologische Untersuchungen nötig sowie Blut- und Urinuntersuchungen. Gegebenenfalls schließen sich Röntgen, Ultraschall und EKG an. Sollten diese Untersuchungen unauffällig sein, müssen wir ebenfalls Erkrankungen des Gehirns (Entzündungen, Tumore etc.) in Betracht ziehen und ein MRT durchführen. Können wir auf diesem Weg eine Erkrankung (sekundäre Epilepsie) diagnostizieren, wird diese entsprechend behandelt und die epileptischen Anfälle treten in der Regel nicht mehr auf.
RdT: Sie haben durch Ausschluss der Grunderkrankungen die Diagnose primäre Epilepsie gesichert – wie wird nun therapiert?
Dr. Uwe Wagner: Dazu muss man Folgendes sagen: Epilepsie ist nicht heilbar, eine Therapie muss lebenslang durchgeführt werden. Behandelt man ein erkranktes Tier nicht, besteht die Gefahr, dass die Anfälle in immer kürzeren Abständen ablaufen, schwerer werden und jedes Mal größere Nervenschäden verursachen.
In der Tiermedizin werden wie bei Menschen auch Antiepileptika eingesetzt. Doch von allen für Menschen im Handel befindlichen Antiepileptika werden nur ganz wenige zur Dauertherapie bei Tieren eingesetzt. So verstoffwechseln zum Beispiel Hunde einige Medikamente so schnell, dass es zu keiner wirksamen Konzentration im Gehirn kommt.
Das Mittel der Wahl ist Phenobarbital. Nach zwei bis drei Wochen sollte ein wirksamer Spiegel im Blut nachweisbar sein. Bei jedem Tier muss die notwendige Dosierung der Antiepilektika individuell eingestellt werden; dazu sind häufige Blutuntersuchungen notwendig, um u.a. den Phenobarbital-Wert im Blut zu messen.
Gibt es keine deutliche Besserung unter der Therapie, wird man sich für eine Kombination aus Phenobarbital und Kaliumbromid entscheiden, dem zweiten Mittel der Wahl. Als Notfallmedikament wird Diazepam eingesetzt, das den Tieren während der Anfälle als Zäpfchen oder rektale Tube verabreicht wird.
Das Ziel der Therapie ist, dass die Anfälle seltener und sehr viel schwächer auftreten. Die Tiere sollen ihre Lebensqualität zurück gewinnen. Ich würde jedem Besitzer raten, ein Anfallstagebuch (Dauer, Stärke, Begleitumstände, Vorboten etc.) seines Tieres zu führen, um auslösende Faktoren (z.B. Geräusche) zu erkennen. Außerdem ist es für die Diagnose sehr wichtig, den oder die ersten Anfälle zu fílmen, damit sich der Tierarzt ein Bild über die Art und Schwere des Anfalls machen kann.

Hier finden betroffene Tierhalter wichtige Informationen: www.epilepsie-beim-hund.de

Fallbeispiel Boxerhündin Bess

Mit elf Monaten erleidet Bess ihren ersten Anfall, der zweite folgt 14 Tage später. Die Besitzer ahnen sofort, dass es sich um einen epileptischen Krampfanfall handelt. Nach umfangreichen Untersuchungen steht fest, dass die Boxerhündin unter primärer Epilepsie leidet. Sie wird mit Antiepileptika behandelt, doch Bess verstoffwechselt die schon sehr hoch dosierten Medikamente so schnell, dass sie keine Wirkung zeigen können. Die Anfälle treten nun im Abstand von weniger als 14 Tagen auf, immer öfter kommt es zum lebensbedrohlichen status epilepticus. Um die Serienanfälle zu verhindern, erhält sie ein starkes Barbiturat.
Die Besitzer sind verzweifelt, bis vor 1,5 Jahren ein neues Medikament auch bei der mittlerweile fünf Jahre alten Bess greift. Mit DiBro-BE ist Bess nun endlich anfallsfrei. Ab und zu deutet sich eine Irritation der Gehirnnerven durch heftigeres Atmen oder ein Augenrollen an.
Während die meisten Hunde ihren ersten Anfall zwischen einem und vier Jahren (oder noch später) erhalten, ist Bess mit elf Monaten noch sehr jung. Auch ihr Verhalten als Welpe, sagen die Besitzer, war auffällig: Sie war sehr ungeschickt und brauchte intensiven Körperkontakt zu ihren Menschen. Die Erkrankung Epilepsie erfordert eine rund-um-Betreuung des Hundes – und so hat die Boxerhündin ihre geliebte Familie 24 Stunden am Tag um sich. Welcher Hund kann das schon von sich behaupten?

Fallbeispiel Katze Sheila

Sheila musste aufgrund einer Verletzung mit zwei Jahren ein Stück des Schwanzes amputiert werden. In den Folgejahren verhielt sie sich oft merkwürdig, jagte ihren Schwanz, biss manchmal hinein. Mit den anderen Katzen im Haushalt kam sie plötzlich nicht mehr zurecht. Sie wurde gejagt oder schlug bei Annäherung sofort zu. Tierärzte vermuteten, dass es mit der Schwanzverletzung bzw. eventuellen Phantomschmerzen zusammenhängen könne.
2013 wurde ihr Verhalten extremer, das Fell auf dem Rücken zuckte, sie biss sich in die hintere Pfote, putzte sich dort zwanghaft, rannte ohne Rücksicht auf Hindernisse durch die Wohnung und machte häufig einen gehetzten, verwirrten Eindruck. Der Tierarzt ging der Anfangsdiagnose Epilepsie nach, die sich durch die Untersuchungen dann bestätigte.
Unter Phenobarbital ist Sheila eine „andere Katze“ geworden. Sie ist nicht schläfrig, aber auch nicht gehetzt, hat keine Anfälle mehr und das Verhältnis zu den anderen Katzen ist viel besser geworden.

Mit freundlicher Genehmigung des BMT (Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V.)

Quelle: BMT